Seit letzter Woche gibt es in Kolumbien große und auch blutige Proteste. Zehntausende Menschen sind in dem Land auf die Straßen gegangen, vereint zur Verhinderung einer Steuerreform. Doch auch andere Gründe für den Protest spielten eine Rolle. Die Mehrheit ist zutiefst unzufrieden mit der Politik, die durch Korruption und Ungleichheit geprägt ist. Immer wieder gab es große Demonstrationen, um die Regierung an ihre Verpflichtungen zur Umsetzung des Friedensabkommens zu erinnern. Auch unsere Partner*innen des Friedensprojektes schrieben immer, wie schwierig die Situation ist und wie wenig der Staat zur Wiedereingliederung der ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer der FARC unternimmt.
Erschwerend für Kolumbien ist die Covid19-Pandemie, die ganz Lateinamerika erfasst hat, aber in Kolumbien besonders stark wütet. Friedhöfe sind überfüllt, die Kranken starben, während sie auf die Versorgung in den Krankenhausfluren warteten und Familienmitglieder verbrachten die Nacht in langen Schlangen, um medizinischen Sauerstoff für ihren kranken Angehörigen zu kaufen. Die Wirtschaft schrumpfte, die Versorgung der Bevölkerung litt und die Arbeitslosigkeit, insbesondere bei jungen Menschen, stieg stark an.
Während sich die Länder der nördlichen Hemisphäre auf die Wiedereröffnung vorbereiten, hat in Lateinamerika eine tödliche Variante des ursprünglich in Brasilien vorkommenden Virus namens P.1 die Bevölkerung durchbohrt und ist zu einem von mehreren Faktoren geworden, die viele Länder zu schlimmen Zahlen von Erkrankten und Toten führen. In dieser Situation, gefangen zu Hause durch starke Beschränkungen, in einer wirtschaftlich miserablen Lage, kündigte Präsident Duque seine Steuerreform an. Für die einfachen Menschen war das der blanke Hohn, während die gutsituierte Elite des Landes anscheinend den Blick zur Realität des Landes verloren hatte.
Die Proteste entluden sich kraftvoll in allen Ecken des Landes. Und ebenso kraftvoll war die Reaktion der Regierung, die weite Teile des Landes und der großen Städte militarisierte. Zuerst die Polizei, dann die Armee, eröffnete das Feuer, gegenüber den teilweise radikal vorgehenden Demonstrierenden. Mittlerweile gibt es Zahlen von über 30 Toten, unzähligen Verletzten und Festgenommenen sowie Dutzenden verschwundenen Personen. Diese Woche sagte das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen (UN), sie sei „zutiefst alarmiert“ über die Situation und habe mindestens einen Fall dokumentiert, „in dem die Polizei das Feuer auf Demonstranten eröffnet hat.“ Sicherlich kein Einzelfall. Der Kritik viele internationaler Gruppen und Bewegungen schließen wir uns als Tierra Unida an.